Wenn ich mit Leuten ins Gespräch komme und Ihnen erzähle, dass ich einen Brieffreund im Todestrakt habe, schauen mich die meisten ungläubig an. Wie ich denn so einem Mörder nur schreiben könne? Eine Vorstellung, die für viele Leute völlig fern liegt. Nun, ich persönlich habe dazu meine eigene Einstellung. Dank dieser Homepage erreichen mich immer wieder Anfragen zu dem Thema und ich habe schon viele Brieffreundschaften vermitteln können. Wer sich mit dem Thema auseinandersetzen möchte – hier ein paar Statements von Menschen, die über diese Homepage zu einer solchen Brieffreundschaft gefunden haben. Ich habe sie gebeten, einfach mal ihre Erfahrung zu schildern. Die Texte sind von den jeweiligen Autoren und von mir nicht verändert worden. Wer sich nun für eine solche Brieffreundschaft interessiert oder Fragen dazu hat, kann mir gerne jederzeit eine Mail schicken.
“Kofi Annan sagte am 20.12.2000 in New York anläßlich einer weltweiten Petition gegen die Todesstrafe mit 3,2 Millionen Unterschriften: Wie kann ein Staat, der die gesamte Gesellschaft repräsentiert und die Aufgabe hat die Gesellschaft zu schützen sich selbst auf die gleiche Stufe stellen wie ein Mörder. Diesen Worten kann ich mich nur anschließen. Seit einem Jahr schreibe ich einem zum Tode verurteilten Mann in Texas. Und ich habe es nicht für möglich gehalten, das ein Mensch der 23 Stunden am Tag isoliert in seiner Zelle verbringt, keine menschlichen Kontakte hat und Tag für Tag der Wilkür und Ränkespiele der Wardens ausgeliefert ist, soviel Herzlichkeit, Dankbarkeit, Freundschaft und Liebe geben kann. Denn was haben diese Menschen noch für eine Perspektive. Sie haben keine. Sie warten einfach nur auf Ihre Hinrichtung,jeden Tag den Tod vor Augen. Natürlich müssen sie für Ihre Verbrechen bestraft werden, aber man sollte sie nicht ermorden! Natürlich denke ich auch viel an die Opfer Hinterbliebenen, aber denkt auch jemand an die Familie des zum Tode verurteilten?Diese Menschen haben nichts böses getan, müssen aber zusehen wie Ihr Mann,Bruder oder Freund ermordet wird. Darüber sollte man auch mal nachdenken. In einem Brief schrieb mir Robert, Petra ich bin so froh, dass es dich gibt Du gibst mir Hoffnung und Kraft dieses "Leben" zu ertragen. Ist es nicht schön, so etwas zu hören? Es ist einfach eine wundervolle Erfahrung einem Menschen zu schreiben, der dankbar darüber ist einen lieben Brief zu bekommen. Man bekommt soviel von diesen Menschen zurück ich kann es einfach nicht beschreiben man muss es selbst erleben.
Am 28.Januar besuche ich meinen Brieffreund das erste mal in Texas! Ich bin froh und glücklich diesen wunderbaren Menschen kennen zu lernen.”
Petra, 46, aus Essen
“Ich führe nun seit ca. einem Jahr eine Brieffreundschaft mit einem Todeskandidaten. Auf das ganze gekommen bin ich über meine Facharbeit (Todesstrafe in Amerika), da ich im Zuge dessen das Internet durchforstet habe und auf Holzis Seite gestoßen bin. Das Ganze war nicht geplant, ich wusste nicht einmal, dass so ein Kontakt überhaupt möglich ist, aber als ich davon las war ich sofort begeistert!
Nach den ersten beiden, noch ziemlich förmlichen Briefen zwischen Ricardo und mir, haben wir sehr schnell eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut und man merkt schon nach kurzer Zeit, wie wichtig diese Freundschaft für den Gefangenen ist. Er investiert viel Zeit in die Briefe und man erfährt sehr intime Dinge, was das große Vertrauen zeigt, das einem entgegengebracht wird. Ricardo schreibt mir oft, dass es ihm viel bedeutet, sich jemandem mitteilen zu können und er es schön findet, jemandem zu haben, dem er so private Dinge erzählen kann. Es entsteht eine große Nähe (bis sich unter normalen Umständen so ein Vertrauen entwickelt dauert es sonst ja meistens wesentlich länger) und ich möchte diese Erfahrung nicht mehr missen, - Ricardo ist für mich ein sehr enger Vertrauter und Freund geworden.
So eine Brieffreundschaft eröffnet einem eine ganz neue Sicht auf viele Dinge und meine Meinung zu dem ganzen Thema Todesstrafe hat schon nach dem 1. Brief eine 180° Wendung gemacht. Man bekommt einfach Einblicke in dieses Thema, die man auf anderem Wege nie bekommen kann und man merkt, dass man auf eine, bei uns im alltäglichen Leben fast schon vergessene Art gebraucht wird und wirklich helfen kann. Und wenn jemand vielleicht zögert, weil er nicht weiß, was er schreiben soll: am besten man schreibt einfach drauf los, es wird nicht von einem erwartet, dass man einen todernsten Brief schreibt, im Gegenteil. Und man macht dem Gefangenen wirklich mit jedem Brief eine wahnsinnige Freude!!!!!!!!!!!!! - Genauso wie Ricardos Antworten für mich jedesmal ein Event des Monats sind!”
Corinna, 19, aus Grainau (Garmisch-Partenkirchen)
“Ob ich denn an einer Aktion teilnehmen würde, fragte mich im November 2004 mein „Lieblings-Freiburger“ Holzi, bei der man einen Weihnachtsgruß an einen fremden, zum Tode verurteilten Menschen in USA schicken sollte. Diese Initiative, die bereits vor einigen Jahren ins Leben gerufen wurde, sucht jedes Jahr nach Teilnehmern.
Ich fand diese Idee sehr gut und sagte gerne zu. Ein Akt der Menschlichkeit und der Nächstenliebe, der nur eine Weihnachtskarte, wenig Porto und ein paar Minuten kosten würde. Das war keine Frage!
Wenig später bekam ich per E-mail Namen und Anschrift von Quintin Jones, einem farbigen jungen Mann, der für den Tod seiner alten Tante verantwortlich war, die er im Drogenrausch erschlagen hatte. Insofern fast eine „Erleichterung“ für mich – kein Massenmörder oder Kinder-Schänder ... Die offizielle Seite der „Texas Death Row“ gibt ausführlich Informationen zu jedem einzelnen Fall preis.
Die E-mail beinhaltete u. a. noch ausführliche Erläuterungen zu dieser Aktion, was die Karten beinhalten durften und vor allem, was NICHT ... Die Zustände und Bedingungen, unter denen die Inhaftierten dort teilweise viele Jahre auf ihre Hinrichtung warten mussten, wurden geschildert und mir lief es beim Lesen kalt den Rücken hinab. Man solle nicht erwarten, eine Antwort zu erhalten, es sei lediglich ein „Zeichen“ , eine kleine Aufmerksamkeit für einen Fremden, was für nicht wenige Inhaftierte vielleicht das Einzige sei, was sie an Weihnachten bekämen, weil sie teilweise gar keine Kontakte mehr nach „Draußen“ hätten.
Ich nahm also eine Weihnachtskarte zur Hand und überlegte...”
Petra, 38, aus Friedrichsthal
Wie ihr seht - diese Brieffreundschaften sind sicher keine gewöhnlichen Kontakte - aber sie bieten den betroffenen außergewöhnliche Erfahrungen. Wenn ihr also selber überlegt, einen solchen Kontakt zu beginnen oder Fragen dazu habt - nur zu. Ich stehe Euch gerne jederzeit per Email für Eure Fragen zur Verfügung.
Mein Brieffreund Michael hat sich entschlossen, auf alle weiteren Rechtsmittel zu verzichten und hat bei den Behörden um seine baldige Hinrichtung gebeten. Um die nachfolgenden Zeilen richtig einzuordnen, hier seine Vorgeschichte.
Michael sass bereits wegen Totschlags an seiner Frau im Gefängnis, als er zusammen mit 6 Mitgefangenen ausgebrochen ist. Auf der wochenlangen Flucht haben sie u.a. einen Laden ausgeraubt, bei dem ein Polizist getötet wurde. Für diesen Mord wurde Michael unter dem sog. “Law of parties” zum Tode verurteilt. Hier nun zwei Auszüge aus seinem letzten Brief:
“Holzi, ich bin schuldig. Ich habe auf den Polizisten geschossen, aber ich habe ihn nicht getroffen. Ich kann subjektiv sein und scheinbar plausible Gründe anführen, aber letzen Endes waren meine Handlungen falsch. Ich glaube, das ist meine persönliche Lösung, um Verantwortung zu übernehmen, um eine aufrichtige Entschuldigung zum Ausdruck zu bringen und in Würde mein Leben zu beenden.
Ich habe Gott als einen liebenden, vergebenden Gott kennen gelernt. Jetzt habe ich realisiert, dass ich eine tiefe Schuld zu bezahlen habe. Ich habe die Chance bekommen, mein Leben im Gefängnis weiterzuleben, ich hätte nur die Entscheidung treffen müssen, nicht auszubrechen.
Die unerwarteten Konsequenzen, die plötzlich aufgetaucht sind, sind immer noch real. Ich kann auch jeden verstehen, der sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt. Ich habe eine Brieffreundin in Dallas, sie ist ebenfalls in (der Rest des Satzes ist unleserlich). Sie hat bereits zwei Mal Krebs gehabt. Auch sie kann nicht verstehen, warum ich meine Entscheidung so getroffen habe.”
“Holzi, ich schätze Deine aufrichtigen Worte und fühle die Freundschaft in Deinen Worten. Ich geniesse es sehr, Deine Briefe zu erhalten und zu sehen, wie zwei fremde Menschen Ideen teilen und sich dabei gegenseitig respektieren. Leider werde ich meine Meinung wohl nicht ändern.
Holzi, das Gefängnis kann einen Menschen zum schlimmsten verändern. Ich sehe einige gute Seiten darin, hier zu sein. Aber ich sehe auch die schlechten Charakterzüge, die in Menschen hier zum Vorschein kommen. Um es zu verdeutlichen. Kannst Du dir jemanden vorstellen, der die Einsamkeit hasst, und der auf einer einsamen tropischen Insel ausgesetzt wird, auf der er nur sich selbst als „Begleitung“ hat? Wunderschöne Natur, klare Sandstrände – aber niemand, mit dem er dies teilen kann.
Nun, ich bin in etwa ein solcher Typ. Ich bin ein sehr sozialer Mensch, jedoch hier muss ich unsozial sein, weil das Gefängnis so wenig Freude bietet, die man teilen kann. Die wenigsten Menschen wissen wirklich zu schätzen, was es heisst, einen Sonnenaufgang oder einen klaren Nachthimmel zu erleben. Oder einfach glücklich zu sein. Ich bin bereit zu gehen, Holzi. Nicht weil mich meine Familie oder meine Freunde ablehnen. Nein, im Gegenteil, wo ich von nun an leben werde, ist es mir, Michael, nicht erlaubt, Michael zu sein. Ich hoffe, dies leuchtet Dir ein und Du verstehst, was ich meine. Ich schätze Deine Freundschaft sehr. Mach Dir keine Gedanken über mich. Es geht mir gut und ich tue alles, um mich auf die Ewigkeit vorzubereiten. Gott schütze Dich, Holzi. Ich danke Dir, dass Du mir Freude, Anerkennung und Freundschaft entgegenbringst.”
Hier endet Michaels letzter Brief. Was nun kommen wird, was in den nächsten Monaten passiert - ich weiss es nicht. Natürlich werde ich diese Freundschaft bis zum letzten Moment fortsetzen. Das bin ich Michael, das bin ich mir, schuldig. Auch wenn ich seine Entscheidung nicht verstehen kann - ich muss sie akzeptieren. Für mich die Basis einer jeden Freundschaft. Natürlich werde ich hier weiter berichten - was auch immer passieren mag.
Nun, heute ist der 14. Juli 2008 – Nationalfeiertag in Frankreich. Für mich ab heute noch ein Monat, bis ich einen Freund verlieren werde. Gewiss, es ist ein angekündigter Verlust. Aber macht ihn das besser?
Je näher der Termin rückt, umso mehr nagt es in mir. Je öfter ich gefragt werde, wie ich damit umgehe oder ob es mich belastet – umso mehr grübele ich darüber nach. Natürlich, ich weiß dass es sein Wunsch ist, ich weiß, dass er im Gefängnis zu Gott gefunden hat und dass es ihm im Moment offensichtlich recht gut damit geht.
Er will sterben und ich sollte seinen Wunsch respektieren.
Ändern kann ich es sowieso nicht. Und trotzdem – in über 2 Jahren ist mir Michael als echter Freund ans Herz gewachsen. Ich weiss, in gut vier Wochen wird ein Staat meinen Freund töten – im Namen der Justiz. Als „gerechte“ Strafe. Welch Ironie.
Natürlich ist mir klar – er sitzt nicht wegen Falschparken im Todestrakt. Aber zählt das in einer Freundschaft? Macht es die Todesstrafe richtiger? Nein. Und mich macht es wütend. Das Gefühl, zu wissen dass es nicht richtig ist, zu wissen, trotzdem nichts dagegen zu tun können.
Nun, ich habe schon vielen Menschen hier einen Briefkontakt in den Todestrakt vermittelt. Und sie stets darauf hingewiesen, sie sollen sich darüber im klaren sein, dass genau DIESE Situation auf sie zukommen kann. Das wissen – eines Tages ist da niemand mehr. Das Wissen, dass da irgendwann keine Briefe mehr kommen. Briefe voller Freude und Zuversicht, in einer Situation, die “normale” Menschen wahrscheinlich durchdrehen lässt.
Aber egal. Ich bin jetzt seit 1986 Mitglied von Amnesty und engagiere mich seitdem gegen die Todesstrafe. Und weiß heute mehr denn je – es ist richtig, es ist dringend nötig, etwas zu tun.
Noch ist es ein Monat – aber trotzdem habe ich mich im letzten Brief verabschiedet. Weiß ich, ob die Zeit reicht, um weitere Briefe hin- und herzuschicken? Ob Michael noch alle Post erreicht? Mir war der Abschied wichtig – und lieber noch einen weiteren Brief hinter- herschicken, als den richtigen Zeitpunkt zu verpassen.
Jetzt bleibt mir nur abzuwarten, bis es rum ist. Oder was noch passiert. Ein Monat ist eine lange Zeit, da kann viel passieren. Vielleicht kommt noch ein Brief. Und dann? Keine Ahnung. Ob ich wieder eine neue Brieffreundschaft beginne? Ich glaube schon. Aber wohl nicht sofort und direkt. Michael würde wahrscheinlich aufmunternd lächeln und sagen „Klar, schreib dem nächsten. Wir brauchen Eure Briefe, wir sind froh über jede Zeile die uns von draußen erreicht.“ Leicht gesagt.
Mal sehen was die Zeit bringt. To be continued....möglicherweise....
Update: ein Tag später - und schon ist ein Brief da. Michael klingt gelöst, fast schon glücklich, dass das Ende naht. Vor anderthalb Wochen war seine Mutter da. Sie und seine Lieblingstante werden nach seiner Einäscherung einen kleinen Gottesdienst halten. Gemeinsam haben sie eine Urne ausgesucht. Aus Holz. Denn nach all der Zeit hinter Beton und Gittern sollte die Urne nicht aus Metall sein. Damit hat er seinen woh letzten Brief beendet. Damit und einigen persönlichen Zeilen, die dann doch persönlich bleiben.
Die letzten Worte.....15. August 2008. Heute Nacht ist “es passiert”, Michael wurde hingerichtet. Auch wenn manche ihm seine Entscheidung verübeln, die Aufgabe, der freiwillige Tod, die “Sabotage” unserer Arbeit gegen die Todesstrafe, das Schuldeingeständnis, das automatisch auch seine Mitangeklagten belastet - für mich geht ein Freund. Mein Dank an dieser Stelle für all Euren Zuspruch in den letzten Monaten, Wochen, Tagen....und nachfolgend nun Michael letztes Worte, wie sie heute veröffentlicht wurden.
Final moments
At 6:02, Mr. Rodriguez was led to the execution chamber.
"May I speak now?" he asked.
"No, not yet," a prison official answered.
He was strapped to the gurney, and then his executioners pierced his arms with the needles, first the left, then the right. At 6:10, he began his final words.
"I know this in no way makes up for all the pain and suffering I gave you," he began. "I am so, so sorry."
He looked directly at Ms. Dalmolin and Ms. Hawkins-Acosta.
"My punishment is nothing compared to the pain and sorrow I have caused. ... I am not strong enough to ask for forgiveness because I don't know if I am worthy," he continued. "I ask the Lord to please forgive me. I have gained nothing, but just brought sorrow and pain to these wonderful people."
He kept apologizing, calling the families by name. He thanked a couple, Irene and Jack, for "helping me find Christ's love." His words turned to song.
"My Jesus, my Savior, there is none like you," he sang softly. "All of my days I want to praise, let every breath. Shout to the Lord, let us sing ...."
His song trailed off and turned to a sound like snoring. It was 6:13, and his lethal dose had begun. He was pronounced dead at 6:20. They pulled a white sheet over his face.
The Associated Press contributed to this report.